Werbung, oder: Ich bekenne

Einst in meiner Studienzeit, es war so im dritten oder vierten Semester, wachte ich tief in der Nacht auf. Ein Nachtmahr hockte auf meiner Brust, fönte mir den Kopf heiß und sah mich mit seinen roten Augen funkelnd aus der Dunkelheit an. Er kicherte heiser, furzte kurz und hob an, wie folgt bedrohlich zu flüstern:
"Werrrrbung. ..... a ..... a ... aa aaa hahahahahaaaaa".

Die Frau zu meiner Linken schlief tief und fest. Sie murmelte kurz, knautschte sich tiefer ins Kissen und sank wieder tiefer in ihre Träume. Es war stockdunkel, nur die glühenden Augen des Wesens illuminierten das Kopfende des Bettes.

"Hm. Hhmmff. Was? Werbung? ... Wieso? Was ..." nuschelte ich schlaftrunken und versuchte vergeblich, meine Arme zu bewegen. Ich war gelähmt. Und er hockte auf meiner Brust und funkelte.
"Dddddu weißt es." klang es kehlig aus Richtung des Glühens.
"Was? Ich weiß WAS? Ich hab doch nichts ... ich ..." Ich wurde lauter, die Panik stieg an.
Ein Grollen und Donnern schwoll an, der Zwerg fing an zu zittern und zu beben und da platzte seine hässliche Fratze aus dem Dunkel hervor und brüllte mich an: "DU HAST DICH MIT DEM TEUFEL VERBÜNDEEEEEET! Du RATTEEEEE!"
Schrecksteif lag ich da, als sich sein Kopf ebenso schnell ins Dunkel zurückzog wie er heranstob. Nach einigen Sekunden sah ich zur immer noch friedlich schlummernden Gattin herüber und fragte kaum hörbar: "Aber wieso? W ... Was ... was ist mit ihr? Sie ... sie tut doch niemandem was und auch sonst ..."
"NICHT SIIIIEEEE! DU NARR! DIE WERBUNG!" brüllte es wieder und stinkender Seibel hieb mir das schweißnasse Gesicht wie Peitschen.

Dann Stille. Plötzlich.

Am nächsten Morgen butterte ich mir nachdenklich und seltsam verängstigt meinen Toast. Also es war nicht Morgen, eigentlich war es Mittag, ich war ja Student. Irgendetwas beunruhigte mich und trat ausdauernd vor das morsche Tor meiner Seele. Ich schaltete den Fernseher ein und versuchte, mich auf das Familienduell mit Werner Schulze-Erdel zu konzentrieren. "Oberhemden!" rief ich mit dem Publikum. Ich rief es laut heraus, um die innere Unruhe mundtot zu kriegen. Und ich lachte und applaudierte. Wie beiläufig horchte ich kurz nach, ob es am Tor noch pochte, doch im Hirnstamm schien alles still zu sein und so stopfte ich mir schnell und übertrieben vergnügt meinen Toast in den Mund. Haha, Oberhemden! Toll! Da hätte er aber drauf kommen können!

Und plötzlich brach es los. Die Hirnrinde kräuselte sich, der Magen wand sich und nach einem tiefen Rülpsen, das ich nicht halten konnte, schoss ein Schwall Kotze weit über den Wohnzimmertisch hinaus und klatschte aufs Laminat. Die letzen Reste Magensaft plätscherten auf den Tisch. Und ich ahnte: das war nicht die durchaus korrekte Kritik am Fernsehprogramm, das war etwas ganz anderes! Doch was? Himmel hilf! Ich zitterte, schwitzte, der Kreislauf bekam Ecken. Und wieder erbrach ich, um irgendetwas loszuwerden, was mich tief im Innern malträtierte. Doch es kam nichts mehr raus, es kam einfach nicht heraus! Oh Gott (in der Angst ruft man sogar sowas), was ist das? Und ich sah plötzlich Bilder ... ein Funkeln, rote Rückleuchten, nein es war sowas wie Augen, und ich hatte dieses Gefühl des Erstickens kürzlich gefühlt! Und da sah ich ihn vor mir, am hellichten Tage! DEN NACHTMAHR!
Das Bild war instabil, es blitzte auf und verschwand und blitzte auf und verschwand, während ich auf dem Boden kniete und immer noch würgte und nach Luft rang! Augen wie glühende Kohlen starrten aus Thomas Gottschalks verzerrtem Gesicht! Und er brüllte "IHRR WOLLT ALLE GUMMIBÄÄÄREN!!!! IHR ALLE WOLLT LUSTIGE BUNTE GUMMIBÄÄÄÄRENNN! HAAARRR HAAARRR HAAARRRR! UND IHRRR SCHICKT SIE HERRRUMMMM MIT DHL!!! AAHAHAHAHAAA!!! DAMIT ALLE SIE FRESSEN! IHR ALLE FRESST SIE! FRESST SIE AUF! LUSTIGE BUNTE BÄÄÄREN! MUAHAHAHAHA!" Und sein Mund wurde zu einem riesigen Schlund, in dem er ganze Tüten mit der Aufschrift Haribo versenkte. Um seinen Kopf schlängelten sich Lakritzschlangen und ich war wie versteinert.
Ich schrie in Panik auf! Gottschalk wich und andere Bilder huschten mir durchs neuronal völlig überforderte Oberstübchen. Frauen schrien unter Orgasmen, während sie sich das Haar einschäumten! Frösche fingen an, Lieder zu singen! Afrikanische Frauen ernteten voller Freude beste Kaffeebohnen! Autos fuhren blitzeblank durch die menschenleere Natur! Alle lachen! Sie alle lachen! Ein Heer prügelnder Alkoholiker rettete süße Orang-Utans und den ganzen restlichen Regenwald! Schöne Menschen fuhren auf Booten durch die Südsee und warfen mit Raffaelos nach Negern in rumpeligen Fischerbooten! Die stiegen plötzlich aus, hatten Pelze an und rappten um Koffer mit Eiskrem!

Und dann wurde ich bewusstlos.

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Am Abend kam die Frau nach Hause und rüttelte mich erschrocken wach. Sie hatte Tränen in den Augen und arg Angst um mich. "Was ist passiert? Was ist passiert? Sag doch was!"
Langsam konnte ich wieder klar sehen und das Sprachzentrum kam ebenfalls wieder zu sich. "Mach Dir keine Sorgen", log ich. "Es ist alles ok. Nur der Kopf tut mir ein bisschen weh. Und mir ist übel." Ich sah die langsam trocknende Kotze überall und es stank erbärmlich.
"Was ist denn passiert?", wiederholte sie sich und hielt mich fest, während sie sich umsah.
"Ich habe Dinge erkannt", weinte ich plötzlich los, "schreckliche Dinge." Und um sie nicht unnötig mehr in Sorge zu versetzen, schob ich schnell die Erklärung nach, so gut ich eben konnte:
"Ich habe mich dem Bösen verschworen, weil ich immer dachte, dass ich für Naturwissenschaften zu dumm bin". Mein Blick schweifte dabei über die tonnenschwere Literatursammlung über Wirbellose, auf die jede Bücherei stolz gewesen wäre und deren Inhalt ich rückwärts aufsagen konnte. "Ich ... ich dachte, dass ich nichts anderes kann, weißt Du, und jetzt ist es zu spät. Ich werde dafür verantwortlich sein, dass Bäume gefällt werden, um unheilige Werbeblättchen, Flugblätter, die man jetzt Flyer nennt, Plakate und Einleger und all das herzustellen. Ich werde dafür verantwortlich sein, dass Drogen so ansprechend bunt verpackt sind, dass auch Kinder sie haben wollen. Ich werde verantwortlich dafür sein, dass arme Menschen glauben, dass sie Flachbildfernseher brauchen, und dafür, dass Möbelhersteller nur noch Schrankwände bauen, in die auch nur noch Flachbildfernseher passen. Ich werde Schuld tragen, wenn unschuldige Kinder verblöden, weil sie keinen Scout-Tornister haben und deshalb Angst haben zur Schule zu gehen." Meine Seele wog schwer, doch es tat gut, alles herauszulassen. Und sie ließ mich reden.
"Ich bin schuldig, wenn Leute sich Kredite für Audis besorgen, anstatt bei ihrem Fiat zu


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bleiben. Und ich werde es sein, wegen dem Filme im Fernsehen durch Reklame unterbrochen werden, die sich tief ins Hirn gräbt und dafür sorgt, dass wir es verpassen, wenn der Film weitergeht, weil wir vor dem eiswürfelproduzierenden Luxus-Kühlschrank stehen und Exquisa auf unser Golden Toast schmieren und Cola und Fanta mitbringen und danach Milka fressen und dann furzen und rülpsen und stinken und noch mehr wollen! Oh Gott! Ich bin SCHULDIG! Schuldig, dass wir nichts geben, sondern haben wollen, weil wir Angst davor haben, nichts zu haben! Schuldig! Weil Jugendliche ihre Eltern ins Sozialamt telefonieren, weil der SMS-Guru ihnen versprach, all ihre Fragen zu beantworten! (Ok, das ist neu). Und ich bin Schuld an der

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Gewalt, die in den Köpfen keimt, weil überall Telefone nicht mehr klingeln, sondern singen und jodeln und blödeln! Schuldig am klingelnden tönenden, hirnzerfressenden Lärm, der nur aufhört, wenn wir uns in Stressless-Sessel setzen, Teekanne-Tee trinken und uns in die Welt der Saturn-Angebote dieser Woche wegträumen! In eine Welt voller Megaperls und -pixel, Gigasets und Filmen aus dem Hyperraum! UND DIE MÜSSEN LAUT SEIN! UND SIE KOMMEN AUS DER 7.1. ANLAGE FÜR 2500 EURO! DAMIT WIR DEN LÄRM NICHT HÖÖÖREEEN! KANNST DU DAS VERSTEHEN???????! Was haben wir nur getan, bevor wir den DVD-Player gekauft haben? Ich weiß es nicht mehr! Und nun haben wir jeden Samstag 200 Euro für Filme rausgeballert, von denen wir selten einen mehrmals sahen! DA HAST DU ES!"

"Aber warum sollst Du an all dem Elend Schuld sein?", fragte sie mich und hatte es noch nicht verstanden.
"Weil ich dieses Studium aufnahm! Und jetzt ist es zu spät! Ich kann es nicht hinwerfen! Ich studiere DESIGN! Design heißt übersetzt Entwurf! Und es ist der Entwurf des Untergangs der Welt! In der Sahelzone werden sie sich um unsere alten Helly Hansen Jacken prügeln! Mit Steffie-Graf-Tennisschlägern! Schon bald! Und ich muss da mitmachen, weil wir sonst nicht leben können! Ich werde dort hingehen müssen, wo der Teufel wohnt! In eine AGENTUR! Dorthin, wo die Niedertracht regiert! Ich werde dort mit denen arbeiten, die bereits assimiliert sind! Sie bekommen Hungerlöhne und Peitschenhiebe! Solange, bis sie denken, dass sie eine Familie sind, so nennen sie das! Eine inzestdurchwirkte Zombie-Bande, die um 23 Uhr Feierabend macht und dann noch easy zusammen was trinken geht, damit sie überhaupt schlafen und das alles gut finden können! AAAAHHHH"

Jetzt weinte auch

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sie. Und wir hielten uns lange im Arm.
Aber weil die Seele einen Notschalter hat, der bei zuviel Pein einfach eine Ohnmacht auslöst, versprachen wir uns, nie wieder davon zu sprechen und den Weg aller zu gehen: Nicht denken, lieb sein, Videos gucken. Doch Werner Schulze-Erdel sah ich nie wieder.



Manches hier war erfunden, vieles jedoch nicht. Ich bedaure den Verlust zweier Dinge, unter anderem den des Mutes, das Studium abzubrechen. Und so bin ich heute 31 und frage mich noch, ob es wirklich zu spät ist. Ich könnte Menschen pflegen. Oder Tiere. Oder Gärten. Ich würde dabei ebenso wenig verdienen, aber es hätte einen Sinn. Zumindest würde ich kein Unrecht tun.
Und so will ich fortan tun, was mir bleibt: so gut es geht versuchen, keinen Großkunden zu betreuen und allen jungen Menschen Folgendes mitgeben:

Design ist schön, keine Frage. Aber das sind Würfelquallen auch. Nicht anfassen! Weit weg bleiben!