Kampfgedanken

Dies ist unsortiertes Gedankengut, das sich hier für meine Zwecke türmt. Der Interessierte darf dennoch lesen.

Als ich noch weniger wusste als heute, dachte ich, dass der schwarze Gurt unweigerlich den Tod jedes Angreifers zur Folge hat. Nicht so drastisch formuliert: Der Schwarzgurt ist unbesiegbar und grade deshalb ruht er in sich. Ich besitze immer noch den Karate-Schlumpf, der sich mit geschlossenen Augen verbeugt.

Als ich einst mit meinem Sport anfing, der mich fast unweigerlich mal zu einem solchen Hüftschmuck führen wird, wunderte ich mich zunächst nicht über die Aussage, dass der schwarze Gurt mit viel hartem Training und den körperlichen Voraussetzungen in unter vier Jahren zu schaffen ist. Das war eine meiner ersten Fragen im Dojo. Mein Ziel war klar gesteckt. Und heute ist mir das fast peinlich.

Zunächst, für alle, die nicht so beschlagen sind vom Thema:
Der berühmte schwarze Gurt wirkt nicht mehr ganz so berühmt, wenn man erfährt, dass es mehrere davon gibt. Es sind fünf an der Zahl. Und damit nicht genug - nach dem Schwarz geht es weiter. Es folgen weitere drei Weiß-Rot-Gurte und zwei rote. Zumindest werden die meisten japanischen Systeme so gehandhabt. Das macht insgesamt 10 Stufen und zudem einen ganz neuen Eindruck vom Geschehen. Sind die ersten Fünf Dan-Grade (Meistergrade) noch per Prüfung zu erreichen, werden die kommenden verleihen, wenn genug Leute der Ansicht sind, dass man es verdiene. Und Paul vom Würstchenstand hat dabei nichts zu melden. Der Scheff unseres lustigen Trüppchens trägt den 9. Dan und steht somit kurz vor dem Gipfel der modischen Möglichkeiten. Und ER ist das, was ich mir als Kind unter dem Karate-Schlumpf vorgestellt hatte. Doch auch er kann keine Kugeln mit den Zähnen fangen oder Blitze schießen.
Zu bedenken ist auch dies: Die Vorbereitungen für den ersten Dan sind nicht unter einem Jahr machbar. Wer es dennoch zu schaffen meint, den hindert das Reglement. Der zweite Dan kostet bereits zwei Jahre. Der dritte drei. Und so geht es lustig weiter. Wer gut rechnen kann, merkt schnell: Den fünften Dan habe ich, die Kindergartenzeit nicht mitgerechnet, nach 15 Jahren. Wenn nix dazwischen kommt. Die restliche Strecke obliegt den Oberen. Dies vorweg.

Wer also den ersten Schwarzgurt tragen darf, trägt einen Meistertitel. Das klingt ganz wild. Aber andersrum betrachtet hat er damit die Grundschule abgeschlossen. Und mehr nicht. Wer sich mit dem ersten Dan die Jacke zusammenhält, hat "lediglich" fünf Grundschulprüfungen mehr oder minder erfolgreich bestanden. Er hat ne Reihe Techniken zusammengeübt, halbwegs passabel der Prüfungskommission vorgeführt und dafür einen neuen Farbgurt bekommen.
Weiß bedeutet, dass man einen Budo-Anzug zu kaufen in der Lage ist.
Gelb bedeutet, dass man es geschafft hat, hin und wieder das Dojo zu finden.
Orange bedeutet: Ich war öfter da und habe mir hie und da was gemerkt.
Grün ist schon die halbe Miete zu Schwarz und sagt aus: Ich komme öfter zum Training, kann mir sehr viele Techniken merken und einige davon habe ich passabel einstudiert.
Blau ist da schon weiter: Ich kann mir noch mehr Techniken merken, bin regelmäßig beim Training und kann einiges zeigen, wenn ich darauf vorbereitet bin.
Die Prüfung zum Braungurt findet nicht mehr in den heimischen Hallen statt, sondern auswärts vor Fremden. Hier kann ich zeigen, dass ich viel trainiere und grundsätzlich weiß, was ich da mache.

Und nun beginnen die Unterschiede zum Kindergarten. Für Schwarz muss ich scheißviel Zeugs scheißgenau machen, um erstmals zu zeigen, dass ich nicht nur rumhampeln kann und damit das Publikum beeindrucke, sondern sehr genau weiß, was ich wann wo zu drücken, zu schieben oder zu sonstwas habe.

Nun sind wir in diesem Text beim Jiu-Jitsu, was zweifelsfrei eines der effektivsten Systeme bei der Abwehr von Kirmesgängern, Handtaschenräubern und sonstigem zweibeinigen Unrat ist. Wir üben regelmäßig und bereits frühzeitig die Verteidigung gegen bis zu fünf Gegner und wir lernen vor allen Dingen Maß zu halten. Wer mich am Ärmel packt, muss dafür nicht gleich sterben oder das Augenlicht verlieren.

Soweit dies.

Ich denke in letzter Zeit immer wieder darüber nach, was das Ganze bewirkt. Natürlich lebe ich wahrscheinlich länger, weil ich Sport treibe. Lassen wir all diese Aspekte einmal außen vor. Anfang der Woche sah ich wie so oft beim Training der Schwarzgurte zu. Und ich weiß: Wer bei uns trainiert, sieht im nationalen Vergleich nicht schlecht aus. Meine Augen klebten an zwei jungen Damen. Die eine mit schwarzem Gurt, die andere nun mit braunem. Die mit dem Meistertitel fand ich auch bei StudiVZ. Dort trat sie einer Gruppe bei, deren Name lautet: "Ja, ich mache Kampfsport, und ja, ich kann Dich mit einem Schlag töten." Der genaue Wortlaut ist dort irgendwo zu finden. Nun war es wie üblich an der Zeit, einen Haufen Liegestütze zu absolvieren und sie beschiss, wo es nur ging. Sie hörte einfach auf, wenn der Trainer nicht hinsah. Immer. Und sie war fertig wie nix. Sie war nicht faul, das ist niemand mit dieser Gurtfarbe, sie konnte nicht mehr. Bei zehn Stück war Ende. Da machen die Weißgurte mehr. Sie kann mit einem Schlag töten? Ich bin mir nicht sicher.
Die Trägerin des braunen Gurtes fiel mir beim Bodenkampf auf. Egal ob sie angriff oder angegriffen wurde, sie war stetig in der Opferrolle. Unsicheres Kichern, ungelenkes Gehampel und der typische Blick von "au scheiße, was mach ich hier jetzt?". Wenn wir davon ausgehen, dass sie diesen Sport zur Selbstverteidigung trainieren, scheitern beide komplett. Aber warum nur?

Ein Gegenbeispiel sind einige der "niederen" Gurte. Kaum ist eine neue Farbe an der Hüfte, wird damit gegockelt, dass die Schwarte kracht. Ich habe Feuer gemacht! Ich muss nicht dazusagen, dass dies nur bei den Männern oder solchen, die es mal werden wollen, der Fall ist. Hier wurden ein paar Techniken eingeübt, die derart unsicher und langsam ausgeführt werden, dass sie auf der Straße höchstens für die Oma nach etwas aussehen. Wenn der Kneipenschläger vom Eck ne Schelle verteilt, gehen da ganz schnell die Lichter aus. Denn den interessiert nicht, welchen Gürtel Du an welcher Jacke tragen darfst, um Liegestütze zu machen. Der macht Dich mock und geht weiter. Weil er nicht nach Deinen einstudierten Tänzen handelt. Er kennt sie ja gar nicht. Das Ego ist ein finsterer Geselle und manch einer kann es psychisch nicht verpacken, statt einem grünen nun einen blauen Gürtel zu tragen. Ich kann selten schweigen, wenn ich sowas erlebe und so ereignete sich einst folgendes Verbalgefecht:
"Hey, ist das nicht schlimm für Dich, dass ich nun den gleichen Gurt trage wie Du, obwohl ich später angefangen habe?"
"Einholen kannst Du mich. Aber nie überholen!"
Das ist sehr schade für den jungen Mann, finde ich. Zeigt sich doch, dass er einiges mitnichten verstanden hat.

Ganz anderes sind die wenigen Ausnahmen, die eine Prüfung für einen neuen Gurt erst dann machen, wenn sie sich dazu wirklich easy bereit fühlen. Und das ist für mich die Essenz des Ganzen: Understatement. Es gibt einige wenige, die mit gelben oder orangefarbenen Gurten bereits ernstzunehmende Gegner sind.

Der Schluss des ganzen Gegrübels bringt mich wieder ein Stück weiter nach vorn. Kampfsport machen bedeutet gar nichts. Einen Schwarzgurt zu haben bedeutet nicht viel. Ich habe selbst schon gegen einen Braungurt "gekämpft", der mir nicht im Geringsten gewachsen war. Und ich kenne Grüngurte, mit denen ich sehr viel Mühe hätte. Wenn der Spaßkampf mit dem Karateka kürzlich ernst gewesen wäre, hätte ich diverse Schäden davongetragen.
Ein Freund hat mir kürzlich spaßeshalber Prügel angedroht und meinte danach, dass es wenig Sinn mache, einem Kampfsportler mit sowas zu kommen. Die beste Antwort fiel mir wie üblich erst viel später ein: "Warum? Weil ichs gewohnt bin, aufs Maul zu kriegen?" Kampfsport ist für mich von Anfang an lediglich der Kampf gegen meine Trägheit gewesen, und gerade das macht mich heute schon entspannter im Alltag. Jeder kleine Sieg gegen meine Trägheit macht mich sicherer im Alltag. Als meine Ex sich so hübsch spontan vertschüsst hat, hat es ordentlich die Wogen geglättet, in denen ich fast abgesoffen wäre. Und wenn sich hin und wieder der Stolz einschleicht, kommt ganz schnell die Trainingseinheit, die mich von dem Thron wieder runterholt.

Doch grundsätzlich gilt, vor allem für die zwei Mädels: Bist Du Opfer, bleibst Du Opfer. Da kannst Du Dir um die Hüften legen was Du willst. Wer sich, wie die beiden, nichtmal vor der eingefahrenen Trainingsgruppe traut, einen Schlag mit einem Schrei zu untermauern und erst nach mehrfachem Anstacheln und Gemoser des Trainers ein fiepsiges "ta" rausflüstert, kann das Gefecht mit dem Schokoladenonkel am Waldrand schon abschreiben. Da kommen die Assis mit ihrem Gurtgeprahle wahrscheinlich weiter. Aber nur, bis sie merken, dass sie sich gnadenlos überschätzt haben. Beides dürfte im Ernstfall ähnlich enden.
Irgendwo zwischen "Mein Name ist Barbar, Conan der Barbar!" und "Dürfte ich sie bitten, meine Hose nicht herunterzuziehen und auch mein Handy nicht zu rauben, bitte?" liegt wohl die Wahrheit. "Ich kann Dich mit einem Schlag töten" dürfte entweder für Gelächter oder für nen Schlag auf die Schneidezähne sorgen. Wahrscheinlich beides und in der Reihenfolge.

rei!