Schon Nietzsche hat's gepfiffen: "Wer sich völlig gegen die Langeweile verschanzt, verschanzt sich auch gegen sich selbst."
Und nur so lässt sich auch erklären, warum man sich immer genötigt sieht, "feiern" zu gehen. Bevor ich hier weiter schreibe ... ich habe das nie verstanden, "feiern gehen". Was ist das? Leute, die feiern gehen, stehen immer rum, halten kühle Getränke warm, versuchen, die Musik schön zu finden und gehen dann ganz traurig nach Hause. Oder besoffen, was ich einfach mal mit traurig gleichsetze. Oder sie gehen gleich ins Hospital, weil für manche "feiern gehen" auch Frustabrieb durch Faustkampf bedeutet. Ist "feiern gehen" also auch ein Paradoxon? Da es mir wurst ist, breche ich diesen Gedankengang hier ab.
Jedenfalls gehen alle feiern. Oder "aus". Oder ein. Oder kaputt. Oder hin oder weg. Was auch immer. Sie tun jedenfalls was. Was sie da eigentlich tun, ist Ihnen nicht bewusst, denn das Tun als solches dient dem Zweck, allerhand nicht zu bemerken. (siehe "ich hab mich total verfahren!", oder "was mach ich hier eigentlich?") Und wenn man so richtig feiert, merkt man oft gar nichts mehr, was sich wunderbar damit beweisen lässt, dass am nächsten Tag Kopfschmerzen vorherrschen. Denn: der Geist sitzt im Kopf und nicht wie oft vermutet im Keller oder in der Flasche. Und eben der wird gern beschäftigt und wird ansonsten mürrisch und bollert mit dem Besen unter die Schädeldecke. Es liegt also nicht am alkoholbedingten Wassermangel, wie uns weisgemacht werden soll. Das Monster von Frankenstein beispielsweise hatte eine sehr flache Schädeldecke, was aufzeigt, dass hier kein Geist zugegen war. Er ging zwar auch nie feiern, aber das steht auf einem anderen Blatt.
Um unseren Geist nicht zu verärgern, gilt es also, ihn dann und wann bei Laune zu halten. Sonst entfleucht er durch's Ohr und kümmt niemals wieder. Das passiert oft, wie sich wunderbar aufzeigen lässt an: Interviews mit Fussballern, Leuten, die gern "alles was so im Radio läuft" hören, oder denen, die Hobbits gut finden. Mal testen und nachfragen: AHA! Niemals Migräne gehabt.
Das sich beständig haltende Urteil, der Geist sei mit Wissen zu füllen, indem aktiv beispielsweise die längst vergessene Kunst des Lesens ausgeübt wird, ist totaler Käse. Es wird von denen propagiert, die uns noch nie etwas Gutes zuteil werden ließen: von Lehrern und Eltern. Nebenbei: beides sind ehrbare Institutionen, scheitern aber am Menschsein. Zudem wird das Lesen oft erschwert, wenn man keinen Fernseher mit 100 Hz Technik hat. Es flimmert und ist nicht gut für die Augen. Es ist also noch nicht zu spät. Wir können noch alles erreichen!
Wie kommen wir ihm also bei, unserem Geist? Und wie schaffen wir die oft zurecht gepriesene Einheit von Geist und Physis? Wie immer macht es der Buddhist vor: er tut nichts, das aber schon sehr früh am Morgen, wo andere sich noch ihren geistreichen Büro-Job aus dem Kopf zu träumen versuchen.
Wir müssen also nichts tun. Nun, "nichts" kann man nicht tun, man tut immer was. Das Atmen sollte beibehalten werden. Das Liegen oder Sitzen ebenfalls. Ansonsten können wir alles beiseite schieben. Und schon stehen wir vor einem Problem der Definition: "Ich mach heute nix" bedeutet im Allgemeinen, dass wir mit ödem Blick "Die 10 beliebtesten Fingernägel zum Kauen" im Fernsehen verfolgen, unsere Genitalien befummeln oder am Telefon sitzen und Leute abtelefonieren, damit wir doch noch was finden, was wir tun können. Oder alles gleichzeitig.
Warum tun wir das? Um den Geist zu beschäftigen. So denken wir zumindest. Aber der hat womöglich den Besenstiel schon in der Hand. Ergo: Wir dürfen all das NICHT tun!
Und: wir leben in einer Welt, die es nicht erlaubt, nichts zu tun. Wir sind so fortschrittlich, weil Menschen beim Nichtstun kluge Dinge eingefallen sind. Und kaum war "Heureka!" ausgerufen, glotzten alle hin und sahen einen, der emsig aufschrieb, was ihm grad eingefallen war. Ok, es war Archimedes, der nackt herumlief, aber wir wollen mal nicht so sein. Also folgerte das Volk: Wer emsig ist, ist gut. Deshalb erzählen noch heute alle, was sie für einen stressigen Arbeitstag hatten, auch wenn das mal gar nicht stimmen sollte. Und schon wurde das Grundlegende übersehen: Allem voran stand das Nichtstun, und nicht das, was dann kam. Womit Gott final zum Hornochsen erklärt werden kann, denn er ist Schuld, dass erst am Sonntag Ruhe ist; und wir sehen ja, was wir nun davon haben. Das Archimedische Prinzip wurde laut Überlieferung in der Badewanne ersonnen und eben nicht auf einem ergonomisch geformten Stuhl in einem klimatisierten Büro.
Wollen wir also jemals auf dem Mars landen, müssen wir dringend und ausdauernd nichts tun. Der Geist, der irgendwann in zunächst jedem von uns einzog, ist weise, aber flüchtig. Muss er auf Bürostühlen sitzen, wird er bockig und redet kein Wort mehr (siehe auch:
Arbeitsamt).
Soviel zu den Vorüberlegungen. Solltet Ihr dies hier nicht mehr lesen oder seid ihr nur hier, weil an dieser Stelle ein neuer Absatz beginnt, dann ist es zu spät. Geht feiern, es werden keine Kopfschmerzen folgen. Die anderen folgen bitte.
Ich übte mich heute wieder im Daliegen. Ein vorangegangenes Gespräch mit einer Freundin endete in Ermangelung von Lösungen und so gab man sich der Stille hin. Und wenn Ihr das jetzt komisch findet – sich der Stille hingeben – dann geht feiern, es kann Euch nichts passieren. Doch ich schweife ab. Jedenfalls stieg ich in mein Boot und dachte nichts. Ich dümpelte dahin und sah trotz offener Augen nichts Konkretes. Übrigens: Die Leute, die trotz offener Augen nichts sehen, trifft man in Innenstädten. DAS ist NICHT der anzustrebende Zustand! Obwohl er dem Loslassen des Selbst schon sehr nahe kommt. Doch ich schweife schon wieder ab. Und genau das ist der Punkt: abschweifen. Das Ruder loszulassen ist eine viel größere Leistung als eines zu schnitzen, denn Schnitzen heißt Schwitzen, und schwitzen soll man in dieser Welt. Wie komm ich nur immer auf so großartige Sachen?
Jedenfalls befand ich mich spürbar im Zustand des Gleichgewichts. Sogar der schlimme Harndrang verschwand plötzlich. Und ich traf allerhand Leute wieder, streifte kurz die menschenverachtende Welt der Anne Geddes, weil ich auf dem Sofa einer Mutter saß, die Babyfüße an der Wand hatte und dachte über Kinder nach. Und darüber, ob ich Kinder möchte und mit wem. Und kam des Reimes wegen auf Rinder und dachte drüber nach, von wem ich gern ein Rind gebraten bekäme. Und so war ich bei Viehtransporten und alsbald bei dem kürzlich gelesenen Buch, in dem erörtert wurde, dass es logisch gesehen keinerlei Rechtfertigung für das Verspeisen von Tieren gibt. Und so ging es weiter. Vom Mond bis zum Käsebrot. Laterales Denken.
Ich erwachte vom Rülpsen meines Geistes. Zufrieden und satt hing er in seinem Sessel in der Mensa des Hippocampus. Ich dachte zwar an Nilpferde und wusste nicht warum, aber ich war gelassen. Für irgendwas würde es schon gut sein. Und ich war tief zufrieden und entspannt. Und es waren fast zwei Stunden vergangen.
Und wer fragt, was denn nun das Ergebnis des ganzen Nichtstuns ist, dem kann ich eines mit Sicherheit sagen: Eventuell gar nichts. Aber manchmal kommt ein Gedanke auf und wird vom Geist fortan fleißig begossen. Und vielleicht sieht man dann irgendwen von uns nackt durch die Straße rennen und "Heureka" rufen (heute würde Archimedes vielleicht "ALTER!" rufen). Und dann können wir vielleicht auf den Mars. Oder ins Kino.
Literaturempfehlung:
Lars Svendsen, "Kleine Philosophie der Langeweile", Insel Verlag