Kumbaya, my lord, kumbaya

Ich hatte es ja noch gar nicht erwähnt. Die Probezeit ist um.
Mancher wird sich gefragt haben, warum ich dies nicht als Anlass neuen Jubilierens nehme. Nun, die Freude wurde, sagen wir mal, halbiert.
"Eigentlich ist es schon frech, dass wir alle drei noch Arbeit haben!", stellte meine Mutter kürzlich im Familienkreis fest. Und da hat sie nicht ganz Unrecht, wie sicherlich eine Menge anderer Familienkreise schon feststellen mussten. Ich kenne einige, denen plötzlich ein halbes Gehalt fehlte und fehlen wird. Das sind oft die, die sich freuen, dass sie es nicht gänzlich vom Arbeitsamt beziehen müssen.

Seit Beginn meines Studiums, das war 2001, krebse ich so durch die Gegend. Wenn man es mal zusammenrechnen will, habe ich in den 8 Jahren (ok, in den 3 Jahren Berufsleben) ein Jahr lang "ordentlich" verdient. "Ordentlich" bedeutet für jemanden wie mich, also mit Diplom, Fachwissen und mittlerweile Erfahrung, weniger als 1400 Euro netto. Und zwar in meinem erlernten Beruf, nicht als Aushilfe an Aldis Obststand. Ich setze mich ein und denke mit. Sogar ohne Nachfrage und schreibtischübergreifend. Die Einzigen, denen es noch schlimmer geht, sind die zwei Juristen mit Staatsexamen, die sich aus ihrer eigenen Kacke ein Häuschen bauen müssen, um nach Feierabend dort zu pennen. Eine davon bekommt für ihre 800 Euro netto immerhin sexuelle Avancen vom Chef. Das sind außervertragliche Zuwendungen.

Aber ich will nicht mosern. Ich hab tatsächlich alles, was ich so brauche. Naja, fast. Selbst mein männlicher Elektronikbedarf ist befriedigt. Ich habe einen Job, der mir Spaß macht, ein paar Kollegen, die ich sogar nach Feierabend treffen will und habe mich mit den Eigenheiten der Chefetage und denen, die da gern mal hinmöchten, gut arrangiert. Man mag mich, ich mag man. Zudem kann ich meine Rechnungen zahlen und ein bisschen Trallafitti machen. Was will man mehr?
Wahrscheinlich nur, dass das auch so bleibt. Und ich roch den Braten schon.

Als mich der Finanzier unseres schnuckeligen Betriebes drei Wochen vor Ablauf meiner Probezeit zu sich bat und mir ein ganzes Büffet warmer Worte hinbutterte, ahnte ich, dass da was faul ist. Mitarbeiter werden nicht einfach so gelobt. Schon gar nicht von ganz oben. Ich sei ein ganz Toller, der Firma sehr wichtig und allerhand Unfug mehr. Und deshalb wolle er mich mitnichten feuern, sondern mir ne halbe Stelle anbieten. Mein Ansehen bei ihm und unser Verhältnis generell hatte sich etwas abgekühlt, nachdem ich sein Büro verließ. Doch mir wurde noch erlaubt, das Angebot anzunehmen. Was ich tat. Nicht aus Liebe, das ist klar.
Zwei Tage später erfuhr ich, dass ne ganze Menge anderer Leute künftig gar nicht mehr erscheinen würden. Da hat wer Glück gehabt.

Just an dem Tage wurde eine Betriebsversammlung abgehalten und die gesamte Belegschaft war gespannt, was denn nun aus den Familienplanungen und dem Eigenheim werden wird. Doch der Herr mit der flotten Sportlimousine wollte generellen Mut verbreiten, sich nicht auf Einzelschicksale einlassen und mal was Positives erzählen. Nämlich: seine Geschichte. Eine Geschichte ohne Missverständnisse und Kot am Schuh. Eine Geschichte vom Kinderbett zum eigenen Tellerwäscher. Und so hob er an zu sprechen und viele offene Münder hörten schweigend zu:
Man müsse sich ordnen und organisieren. Dann stünde jedem der Weg nach oben offen. Er hätte studieren wollen. Er habe studiert. Dann hätte er einen knuffigen Titel haben wollen und hat ihn sich erarbeitet. Als nächstes Ziel habe er sich die Führung eines großen Unternehmens ausgedacht und wurde bald Führer in einem (wirklich) großen Unternehmen. Was ihm dann noch fehlte, sei die finanzielle Unabhängigkeit gewesen. Damit hätte es dann auch geklappt. Und, natürlich, er habe immer noch genügend Zeit für Frau und Kinder. Und nun stünde er hier und könne uns allen nur sagen: wir alle können es schaffen! Tchakka!

Da wusste ich eines: wenn Du nicht der bist, der mit Glück zugeschissen wird, oder dessen Eltern Dir einfach überall Leitern hinstellen können, bist Du zwar der Realität ne ganze Ecke näher, aber schön isses da nicht. Ich hätte ihn gern diese Rede vor Uni-Absolventen, der künftigen Bedarfsgemeinschaft, halten lassen und jedem Zuhörer vorher einen Stein in die Hand gedrückt. Nur für alle Fälle. Sie hätten schon gewusst, was zu tun ist. Oder im Foyer des Arbeitsamts, wo all die Ausgebildeten auf ein Bütterchen warten, anstatt sich zuhause zu organisieren und zu ordnen, nachdem sie die dritte Stelle in einem Jahr verloren haben oder die siebenhundertste Bewerbung ohne Antwort im Nirwana entschwand. Vielleicht auch vor mittlerweile jedem fünften Arbeitnehmer, der sich mit einem Job allein nichtmal mehr die Busfahrkarte gönnen kann. Oder vor den Pforten der Düsseldorfer Tafeln, die mittlerwiele wegen Überfüllung dicht sind. Ohne die Last der Ausweglosigkeit, der Angst und dem lähmenden Gefühl der Sinnfreiheit des eigenen Strebens lässt es sich wunderbar ordnen und organisieren.

Selbstverwirklichung ist ganz weit weg von Selbsterhaltung. Und ich lernte in wenigen Minuten, dass es einige gibt, die nicht den geringsten Schimmer davon haben. Man kann es ihnen nichtmal erklären. Aber nur die werden am Ende kichern. Eben die kaufen die Maschine, die zehn Arbeiter ersetzt. Es braucht schon lang keine große Belegschaft mehr, um etwas zu produzieren. Und sollte doch mal Bedarf bestehen, kriegt man seine Arbeitsbienchen von der Personalvermittlung oder gleich aus Ungarn. Resteficken. Dass die armen Seelen keinerlei Plan vom Produkt haben, ist tüttes. Es geht hier nicht um gut, sondern um viel und billig. Gut braucht auch niemand mehr. Kann ja auch keiner bezahlen. Will auch keiner. Kriegt der Kurze halt Ersatzkäse aufs Pausenbrot. Kann er sich schonmal dran gewöhnen. Einzig der Beruf des Therapeuten wird nicht aussterben. Zumindest solange, wie alle sich ihre Krankenkassenmitgliedschaft leisten können. Dann kann der auch einpacken.

Übrig bleiben dann die, die sich einfach organisieren und ordnen können. Wie Hagen Rether es so schön sagte: "Kommt rein, lässt ordentlich einen fahren und verschwindet einfach wieder."
Vielleicht hat auch der Rocco Recht, der kürzlich überlegte, ob diese ganzen Studienfächer und Ausbildungen ersetzt werden sollten und den Gewillten eine einheitliche Allgemeine-Schläue-Ausbildung zuteil wird.
Vielleicht macht es aber auch das Modell von Kollege M.: Kommt vielleicht. Wenn nicht, ruft er an und verkündet: "Arbeite heute von zuhause. Hab verpennt." Er hat gelernt, dass man das mit manchen Chefs durchaus zweimal die Woche machen kann und fährt damit gut. "Er hat ja auch so einen weiten Weg." Und sollte doch die Kündigung kommen, kommt sie halt. Man wird auch so überleben. Wie die Kollegen dieses Teamverhalten bewerten, ist ihm völlig gleich. Muss er ja nicht mit reden. Unfassbar dicke Eier und ne gehörige Portion Ignoranz, ja eine gewisse soziale Fehlbildung, sind womöglich der derzeit einzige Weg zur Selbstverwirklichung. Vielleicht schon immer gewesen. Natürlich gibt es Ausnahmen! Fresse!

Kumbaya, my lord, kumbaya.