Der neue Heiland ist digital. Die Geschichte von einem Telefon, 8 Hackern und einer wahnsinnigen Meute.

Dem Uninteressierten oder Nicht-versierten sei es kurz erklärt: Apples begehrtes iPhone wird normalerweise (auch außerhalb Deutschlands) nur in Verbindung mit einem Vertrag verkauft. Besonders hierzulande bindet dies den Kunden an Mobilfunkpreise, die jeder Idee von Vernunft Hohn sprechen. Es wird aber dennoch verkauft wie warme Semmeln. Es ist halt schwer cool und ein super Spielzeug. Apples Marketing- und Produktentwicklungsabteilung könnte auch den eigenen Kot in Tüten zu horrenden Preisen locker unter's Volk bringen. Auch, und das muss ich einräumen, weil es sehr zukunftsorientierter Kot wäre.

Sehen wir's mal so: Das Gerät stellt alle Konkurrenten in den Schatten, was die Bedienung betrifft. Apple-typische Benutzung, die selbst einem Meerschweinchen leicht fiele und eine ausnahmslos wunderbar funktionierende Touch-Oberfläche. In der neuen Version sogar fettabweisend.
Dazu stellt sich die Möglichkeit, das Ding als Walkman zu benutzen. Und als Gameboy. Und als durchdachtes Navigationssystem vom führenden Hersteller TomTom. Und bisherige Web-Standards für den Mobilfunk wurden kurzerhand ad absurdum geführt. Gameboy oder Nintendospiele kosten weit mehr als die durchschnittlichen 2,50 Euro, die für den Download im App-Store aufgerufen werden. Ganze Heerscharen von Entwicklern entdecken neue Horizonte und Kontostände, ja mittlerweile steigen auch die großen Spielehersteller mit ein. Neuerlich wird es Spiele nicht nur für PC, Playstation, Wii oder Mac geben, sondern immer öfter auch für's iPhone.
Ich sage es voraus: Irgendwann kann das Ding auf Knopfdruck heiß werden, um darauf ein Süppchen kochbar zu machen.
Der Hype nervt gehörig. Dennoch ist das iPhone ne recht spektakuläre Sache. Das mal nebenbei.

Zurück zum Wesentlichen: Die Bindung an die vor Hohn lachenden Knebelverträge nervt global noch mehr als die Not in Afrika. Anders als mit allen anderen Mobiltelefonen kann man mit dem iPhone allerdings nicht mal eben zum türkischen Handyladen gehen, wo im Hinterzimmer binnen 15 Minuten der Simlock entfernt wird. Warum das nicht geht, entzieht sich meiner Kenntnis.
So taten sich einst ein paar findige Programmierfreaks zusammen, nannten sich "Dev-Team" und machten sich daran, eine Software zu schreiben, die dem Simlock und sonstigen Geldmachereien ein Ende bereitet und nannten das virtuelle Kind passend "Jailbreak". So könnte man es in Kürze ausdrücken (Jailbreak und Unlock sind zwei paar Schuhe, aber an dieser Stele wollen wir das mal außer Acht lassen). Das Dev-Team mutierte binnen weniger Monate zum neuen Messias unter den Tech-Freaks und Modefolgern. Und das sind nicht wenige. Es ist sogar eine recht ehrbare Sache: Die modernen heiligen Könige bringen ihre Gaben aus eigenem Interesse unter's Digitalvolk und lehnen Geldangebote strikt ab.

Es ist immer wieder köstlich, die Katz- und Mausnummer zwischen Apple und dem Dev-Team im Netz zu verfolgen. Meist sind die Updates seitens Apple bereits geknackt, bevor sie via iTunes unters Volk gebracht werden. Das Team kommuniziert das zwar offen im eigenen Blog, veröffentlicht aber niemals Details oder Downloads, bevor Apples Software nicht mindestens einen Tag lang zugänglich ist. Man mag halt nicht, dass im letzten Moment noch "Sicherheits"lücken geschlossen werden können.
Das bisher letzte Apple-Update hatte es allerdings in sich. Der Simlock des iPhone 3G konnte nicht geknackt werden. Ein Ärgernis für alle iPhone-Käufer eines bestimmten Zeitraumes, die schon ab Werk mit der wehrhaften neuen Software beschenkt wurden. Ein neuerlicher Ruck ging durch Deutschland wie um die ganze Welt. Der kleine farblose Blog des Dev-Teams war die zentrale Anlaufstelle für viele Tränen und Fürbitten, die allesamt nichts ausrichten konnten.

Am vergangenen Dienstag dann wurden die Himmelspforten erneut geöffnet. Apple hatte sein zuvor angekündigtes Software-Paket 3.0 kostenlos an seine Jünger verteilt – und das Dev-Team hatte es bereits geknackt. Mitsamt Simlock und allem Simsalabim. Nicht nur, dass Apple seinen Telefon-Jüngern ein paar neue Funktionen hinwarf, die an sich jetzt so großartig nicht, aber immerhin umsonst waren, nein, es gab auch noch nen kostenlosen Hack der Oberklasse obendrauf. Alles umsonst, wie Weihnachten, nur ohne nett sein und was zurückschenken zu müssen. Apples Server brachen für den Abend zusammen.
Auch ich schnüffelte nach Feierabend ins Netz. Denn auch ich bin blöd genug, mir diesen Telefongameboynaviwalkmanwecker zuzulegen, obwohl ich dafür dem rosa T-yrannen den Arsch lecken muss. Wäre ja hübsch, nun wieder übers O2-Netz zu funken, was mich lang weniger kostet.

An diesem Abend bekam ich zum ersten Mal wirkliche Angst vor dem Menschen als solchem, wenn er als Masse auftritt. Staunend wurde ich Zeuge. Die Veröffentlichung des Dev-Hacks ließ auf sich warten, da wohl noch in letzter Minute Probleme überwunden werden mussten und eine unüberschaubare Herde von Telefonfreunden scharrte lautstark mit den Hufen. Heute hatte sich der Messias angekündigt. Und er warf dem Volk alle par Stunden Bröckchen hin. "Is gleich soweit". "Wir machen ja schon". "Moment noch". Ein bisschen fühle ich mich an die Massenorgie in Süskinds "Das Parfüm" erinnert. Doch es sollte noch schlimmer kommen.
Satte 10000 Kommentare allein auf der Blog-Seite des Dev-Teams binnen zweier Stunden. Und alle sagten eines: "Wann kommst Du?" Nebenher wurde getwittert und in Foren gepostet, was die Finger hergaben. Man musste miteinander reden, sich austauschen, raunen und stammeln. "Wann wird es soweit sein?", "Wieviel Uhr ist es bei denen?", "Wann ist bald?", "Ist es schon da?", "Wieso brauchen die so lange?", "Kann ich das auch auf meine AEG-Waschmaschine laden?" ... und so weiter und so weiter. Nicht wenige aus aller Herren Länder fingen an, debile Umfragen zu starten oder Witze einzustellen. Der Abend ging, die Nacht kam. Nur keine Software. Das Dev-Team entschuldigte sich für die Verzögerung, doch man wolle halt keinen unfertigen Schund abliefern. Viele gingen ins Bett, die meisten aber blieben "vor Ort" und klickten im 10-Sekunden-Takt den Reload-Button des Browsers. Es wird nicht wenige gegeben haben, die heute nicht am analogen Leben teilnahmen und stattdessen geschwollenenen Auges weiter klickten und tippten. Dass es sich hier lediglich um einen Hack zu einer kostenlosen Kleinstsoftware handelte, war längst in der Masse untergegangen. Hier ging es um mehr. Es ging um Freiheit. Um die Loslösung von der eigenen Dummheit, der man sich per Vertrag hingab, um dieses Telefon zu besitzen. Und letztlich wusste eigentlich niemand mehr, worum es ging. Man schrie nach ein paar Megabyte, weil die anderen eben auch danach gierten. Doch nichts geschah.

Heute, am Freitag, gegen 22 Uhr rief der erste es hinaus: "IT'S UP! LOOK IN THE DOWNLOAD SECTION!"

Und so war es. Das kleine Rebellenteam hatte seinen Weihrauch per Torrent in die Welt geblasen und schon eine Minute später saugten Millionen von Rechnern an dem gebotenen Strohhalm. Damit es jedem verständlich ist: Ein Torrent verteilt sich durch seine Downloads. Einer läd eine Datei runter und sofort beginnt sein Rechner, die erhaltenen Bröckchen dieser Datei auch anderen anzubieten. Kein Porno der Welt hätte das geschafft. Innerhalb von wenigen Sekunden verteilte sich das Gebotene um den Globus. Lang bevor die Entwickler überhaupt etwas dazu sagen konnten. Sie hätten die bösesten Viren der Galaxie verteilen können, alle hätten sie freiwillig runtergeladen und installiert. Mir kam wieder der Gedanke an Süskind - wäre der Aufenthaltsort des Dev-Teams bekannt gewesen, dann hätten Menschenmassen die Bude gestürmt und die Hobbyprogrammierer mitsamt ihren Computern restlos aufgefressen. um die Weisheit und den Code in sich aufzunehmen.

Richtig beängstigend, oder belustigend, je nach Blickwinkel, wurde es aber in den folgenden Minuten. Bevor das Dev-Team noch erklären konnte, was es mit dem Datenpaket auf sich hat, installierten alle fleißig und ... hahaha ... schossen ihre Telefone kaputt! Die ersten Meldungen schlugen nur acht Minuten nach dem Erscheinen des Torrents ein: "Mein Telefon reagiert nicht mehr". "Mein Telefon hat kein Netz mehr." Ich war etwas enttäuscht, doch das Amusement überwog. Tatsächlich hatte Gottes Werk offenbar einen Fehler, der bislang nicht offenbar war. Doch obwohl mittlerweile an die 200 Kommentare "geht nicht" resümierten, installierte der Großteil der Downloader weiter die Software, was die Kommentare gleichen Wortlautes rasant ansteigen ließ. In einem der Foren hieß es gar "Ich halte es nicht mehr aus ohne Jailbreak!" Eine neue Religion ward geboren.
Wenig später erfolgte auch ein Blogeintrag des Dev-Teams, den viele mal hätten abwarten sollen: "Wartet bis dies und das fertig ist. Wer sein Telefon entsperren will, sollte abwarten!" Doch da war es für die meisten längst zu spät. Ich schrieb derweil SMS über das T-Netz. Viele andere mit Sony-Ericsson Telefonen haben all das gar nicht mitbekommen.

Das Dev-Team schweigt. Vielleicht liegt es im Bett, hat Sex oder isst ein lecker Schoko-Eis im Park. Vielleicht arbeitet es auch an einer fixen Lösung und der weiteren Vorgehensweise. Und die globale Schafherde sieht sich den schlimmsten aller Strafen gegenübergestellt: Schweigen und Ungewissheit. Määh.

2 Response to "Der neue Heiland ist digital. Die Geschichte von einem Telefon, 8 Hackern und einer wahnsinnigen Meute."

  1. Thorsten K. Says:

    http://www.kilala.nl/Images/Blog/iPhoneJesus.gif

    Jep, jep, jep..

  2. Mailvaltar Says:

    Das hättste mir auch mal eher sagen können, wie da die Luzi abgeht! Allein dafür lohnt sich doch schon die Anschaffung des Fons...

    Schon klar, man könnte es auch als Außenstehender beobachten. Aber mal ehrlich, das kann nicht dasselbe sein. ;)