Kunst im Schacht.

Vor einiger Zeit hatte ich es mal erwähnt: Unser Mehrfamilienhaus wird fortan von Kunstschaffenden verschönert. Gab sich der Künstler einst noch damit zufrieden, Alete-Weihnachtskalender mit besonders schönen Motiven im Hausflur aus-, bzw. abzustellen und mit der Aufschrift "Wenn Ihnen gefällt, nehmen Sie!" feilzubieten, ging er oder sie schon bald dazu über, auch selbst den Pinsel kreisen zu lassen.
Die mal surrealistisch-kubistischen, mal naiv-blümeranten Arbeiten mit gewagtem Strich wurden ebenfalls im Erdgeschoss platziert und harrten dort ihrer Liebhaber. Da das Hochhaus-Pack allerdings nicht besonders kunstaffin zu sein scheint, stand der Käse dort nur rum. Traurig, war die Idee an sich doch recht liebenswert.

Und so fand der Künstler, der sich mittlerweile in einer fortgeschrittenen Schaffensperiode wähnt und daher seine Werke auch signiert, einen neuen Weg, den Leuten seine Liebe zur Kunst aufs Auge zu hauen: Das Treppenhaus wurde über fünf Stockwerke ausführlich mit Gemälden behangen. Erziehung ist halt nicht immer eine freiwillige Angelegenheit. Da muss man schon mal mit Nachdruck agieren.

Es kam wie es kommen musste: Ein Bild wurde entwendet!
Ein natürlich komplett anonymer Hausbewohner erregte sich schriftlich an der leeren Wand per offenem Brief:

"An den Bilderdieb!!!
Dem Bilderdieb sollen die Finger abfaulen, oder jeden morgen der Geier auf den Kopf scheißen. Aber als A-Sozialer, dem die Reklame, der Wochenkurier oder Stadtanzeiger im Briefkasten stört, diese aber nur auf dem Boden schmeißt und nicht bis in den Papierkontainer schafft, kann man nur, wegen zu wenig Verstand bedauern.
Als Mensch zu dumm,
als Schwein zu kleine Ohren.

Hausmitbewohner."



Und der Brief hatte gesessen, wie ich heute morgen beim Verlassen des Hauses bemerkte. Die Bilder standen wieder im Flur. Lässt sich ein Ganove denn so leicht einschüchtern? Ein Buschklepper, ein Raubritter, ein Langfinger, ein Schurke ... und so schnell knickt er ein? Oder dachte da wer, dass die Bilder immer noch umsonst zu haben seien? Jetzt, wo sie signiert sind?


Nein.
Denn den wiederbeschafften Leinwänden lag ein Zettel bei, den der Aufzug-Monteur der Firma Otis dort hinterließ:

"Die Bilder habe ich in der Schachtgrube unter der Aufzugsanlage gefunden."

Und tatsächlich: Der Spalt zwischen Boden und Aufzugskabine lädt geradezu dazu ein, dort Werke allzu aufdringlicher Künstler zu versenken.
Einerseits ist es sehr traurig, mit wie viel Groll und Unmut mancher Mitmensch durch seine Existenz stapft, dass er es für nötig befindet, derlei zu tun. Andererseits ist es für den stillen Beobachter natürlich eine Belustigung erster Kajüte.

1 Response to "Kunst im Schacht."

  1. Sacantus Says:

    Also ich finde den Brief großartig! Ich wäre auf dem lachen nicht mehr rausgekommen!

    Magst du nicht mal ein Foto dieser schicken Bildergalerie machen?