Toleranz üben.

Es gibt Leute, die haben seltsame Hobbies. Manche peitschen sich gegenseitig aus, wieder andere hören gern Reggae, gehen bei 35 Grad zum Kampftraining oder sitzen vorm Fernseher. Manche lesen gar ein Buch oder haben eine Spinne oder eine Katze oder frisieren sich die Augenbrauen.

Jeder Jeck is anders. Und mitunter sorgt das auch bei anderen für große Heiterkeit. Als ich kürzlich über die Balkonbrüstung lugte, um mal wieder nach meiner Nachbarin und ihrem Freund zu sehen, wunderte ich mich arg. Sie saßen bei einem Salat am Tisch und ... malten Malbücher aus. Jeder eins. Sie eher aufs Ziel konzentriert, mit unordentlicher Kreuzschraffur und leeren billigen Filzern, er etwas sorgsamer und darauf bedacht, nicht daneben zu malen.
Ich rief meine Verwunderung runter und wollte wissen, was dort getrieben wird. Sie lachte. "Wir malen, hahaha." Er lächelte kurz. Dann beugten sie sich wieder über ihre chlorfreien Malvorlagen. Sie hatten wohl nicht verstanden, dass ich eigentlich nur wissen wollte, welchem höheren Zweck sie dort entgegen krickelten. War es die Vorbereitung auf Kinderbetreuung? Zu einem guten Zweck? Oder was? Ich blieb gespannt.

Am nächsten Tag sahen wir wieder heimlich ums Eck. Sie saßen wieder da. Diesmal nicht in Unterhosen. Aber genau wie am Tag zuvor vertieft in das Ausmalen. Ja, heute erkannte ich auch die Sujets ... sie malte grad die Hose von Winnie Puh blau aus (was bewies, dass sie vor dem Malen kein Referenzmaterial studierte), er färbte das riesige Haus einer freundlichen Schnecke. Ich rief nicht.

Ein Rätsel.

Heute traf ich sie vor dem Haus. Ich musste es wissen. Und jetzt hatte ich sie.
"Sag, bitte, was treibt ihr da?"
"Wir malen!"
"Was? Wozu? Malbücher?"
"Ja, die habe ich gekauft. Das macht Spaß!"

"Aber ... ich ... ähh ... was? Warum kauft ihr nicht ein richtiges Buch?"
"Was für ein Buch?"
"Na eins mit Buchstaben. Also nur als Idee jetzt. Oder irgendwas anderes eben."

"Ja, (er) mag das ("lesen", Anm. der Redaktion), aber ich finde das doof. Und (er) hat schon immer gern gezeichnet."
Mir fiel weder ein Kommentar noch eine weitere Frage ein. Ich war belüttert, halb belustigt, halb erschüttert.

Aber jeder is halt anders. Manche mehr, manche weniger. Ich musste trotzdem lachen. Ich hatte dennoch kurze Zeit später dieses unschöne Gefühl der Leere, der Einsamkeit, des Alleinsein mit seinem eigenen Unverständnis. Und man kann diesem Gefühl nicht entkommen. Es scheint wie eine Aufklärungskampagne gegen Alkoholmissbrauch in einem Aquarium – es ist egal wie laut Du schreist und was Du sagst, der Fisch zupft stoisch weiter Algen von den Steinen. Alles, was Du tun kannst, ist tolerieren. Schlimm.

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