Fenster

Ich hatte ihr vorher gesagt: "Wenn damit was ist, frag niemals mich! Nie!" Aber es war sonnenklar, dass der Tag kommen würde, an dem sie es doch tut. Ganze sechs Bettel-SMS habe ich ignoriert, bis die siebte mein Herz weich werden ließ und ich an ihre Tür klopfte, damit das Ding mir auch die Birne weich macht. Sie hatte sich einen Windows-Computer gekauft. Und jetzt natürlich Probleme damit.
Über Windows zu mosern ist oll. Jeder weiß, dass Windows Schabernack ist, und wer es nicht weiß, der wird es auch nie verstehen. Dies soll also kein Kreuzzug sein. Kauft, was ihr wollt. Aber ruft mich dann nicht an.

"Das geht da nicht!", beschrieb sie präzise das Problem.
"Was?"
"Na, das mit dem Virusdings da!"
Nach eingehender Prüfung des Tatbestandes war offenbar: Da war eines dieser Programme am Werk, die ab Werk vorinstalliert sind, täglich zehn Mal daran erinnern, dass man es nun aber bezahlen soll und sich nur unter größten Mühen löschen lassen. Nach 10 Minuten des Abgrasens sämtlicher Menüpunkte fand ich die Option der Deinstallation.
Ich sags frei raus: Ich bin Mac-User. Und ich habe keine Ahnung von Windows mehr. Ich bin also genau so doof wie all die anderen, die täglich Windows-Rechner kaufen und zu benutzen versuchen.

Die Kurzfassung des Deinstalltionsvorganges will ich hier schildern (die Kurzfassung einer Deinstallation unter Mac geht so: Programm in den Papierkorb ziehen):

- Klick auf "Programme deinstallieren"
- ein leeres Fenster öffnet sich
- nichts geschieht. Der Rechner ist offenbar zu neu, um flott zu arbeiten.
- CSI läuft und ich widme mich dem Fernseher
- dann erscheint eine Liste mit Programmen, die zur Deinstallation freigegeben sind
- ich wähle den Übeltäter aus und befehle
- Windows meldet, ich könne das Programm nicht deinstallieren, weil es grade aktiv ist
- ich suche fünf Minuten nach einer Möglichkeit, es zu beenden, finde aber keine
- ich ignoriere also das Verbot und befehle noch einmal die Deinstalltion
- Windows hat nicht aufgepasst und deinstalliert nun
- es vergehen locker 10 Minuten, in denen ich wieder CSI gucken kann
- ich denke an den guten alten C64. Da konnte man auch immer prima was nebenher machen, wenn er was lud.
- das Programm sei nun deinstalliert und der Rechner müsse neu starten
- ich gebe mein OK und erwarte einen Neustart
- Windows meldet, dass ich den Rechner nicht ausschalten soll, weil es gerade Updates installiere
- Windows startet nach fünf Minuten neu
- Windows meldet, dass es nun die Updates installiere, ich solle nicht ausschalten
- nach gefühlten zehn Minuten startet Windows sich neu
- nach dem Neustart reagiert Windows nicht
- ich bemerke an einer Leuchte, dass der Rechner offenbar mit sich selbst beschäftigt ist und lasse ihm Zeit
- auf dem Bildschirm fliegen plötzlich Fenster und Pop-Ups auf und zu, Windows hat sich offenbar mein hilfloses Geklicke gemerkt und will mir das auch zeigen
- Zwei Programme, die ich wegen unsinniger Speicherauslastung beenden will, stürzen ab oder "reagieren nicht"


Später am Abend überlege ich, wie es wohl sei, wenn mein Auto mit Windows liefe ... Morgens um 7 Uhr.

"Herzlich Willkommen!" ertönt es da beim Einsteigen. Die Stimme aus den Lautsprechern bietet mir alle nötigen Optionen: "Was wollen sie nun tun?" Eine Liste mit Möglichkeiten erscheint auf dem Radio-Display:
1. Ich möchte über Produktupdates von Audi informiert werden
2. Ich möchte einen Radiosender suchen
3. Ich möchte die Fensterscheibe herunterfahren, um Nachbarn zu grüßen
4. Ich möchte das Fahrzeug benutzen

Wie ich also grade Taste 4 drücken will, springt mir ein Pop-Up aus dem CD-Schacht vor den Finger: "Haben Sie schon das Lenkrad bemerkt? Mit diesem Gerät können sie das Fahrzeug in verschiedene Richtungen (außer nach vorn und nach hinten) bewegen". Ich drücke das Pop-Up wieder in den CD-Schacht, woraufhin ein neues erscheint: "Sie haben soeben ein Fenster geschlossen! Möchten Sie weitere Tipps zu Ihren Fenstern erhalten?" NEIN!

Also drücke ich endlich Punkt 4, um das Fahrzeug zu benutzen.
WDR4 ertönt und die Fensterscheiben scrollen runter. Die Heckklappe poppt auf. Der CD-Schlitz raschelt allerhand Zettel hinaus, die über die Heckklappe sowie über die stufenlos erweiterbaren Lufteingänge rechts und links, also die Seitenfenster, informieren. Auf dem Radiodisplay erscheint: "Kofferraum-Modus aktiv: Wollen sie Gemüse einladen?" NEIN!

"Was wollen Sie nun tun? 1. Kofferraum absprengen, 2. Kofferraum tapezieren, 3. Kofferraum schließen." Schließen. "Wollen Sie das Programm Kofferraum beenden? "1. Abbrechen, 2. Neustart, 3. Etwas anderes als Gemüse versuchen". Ich drücke die 1, der Kofferaum bleibt offen.

Ich entscheide, das Ding zu ignorieren. Ich muss zur Arbeit. Bleibt das Ding halt offen. Aber ich muss echt los jetzt.

Ich bemerke den "Start"-Button und drücke zu. Alsbald erscheint das Fenster "Fahrzeugsteuerung" und suche dort die Option "Zündung". Ich finde sie versteckt unter "Erweiterte Fahrzeugmerkmale, Elektrik" und klicke erleichtert hin.
"Bitte legen Sie die Audi-DVD in Ihr Radio ein, um Komponenten zu installieren: Zündung" Ich lege die Scheibe ein, der Motor startet und stoppt. Die Fenster schließen sich, die Motorhaube springt auf. In einem neuen Fenster erscheint die Frage, welches Zündungsmodell ich benutzen möchte: "A2, A3, A4, A6, A7, A8, TT, weitere" Ich wähle "A3" und klicke auf "Zündung installieren". Der Wagen bockt ins Gebüsch, stottert und macht keinen Mucks mehr. Ich werde wahnsinnig.

Ein Gedrückthalten von Zündschlüssel und Senderspeicher 3 startet das Vehikel neu.

"Das Fahrzeug wurde nicht ordnungsgemäß abgestellt und wird nun aus der Vegetation gefahren." Ein Ladebalken erscheint.

"Herzlich Willkommen! Was wollen Sie nun tun?"
Mit der Faust schlage ich auf Punkt 4 ("Fahrzeug benutzen") ein, während ich im Büro anrufe und meine Verspätung ansage. Ein neues Fenster erfragt mein Vorhaben "Benutzen" genauer. "Wollen Sie 1. das Fahrzeug warten, 2. den Wetterbericht abrufen, 3. die Staumeldungen abrufen, 4. das Fahrzeug zu einem neuen Zielort navigieren?" Ich drücke die 4 und der Wagen springt an. Jetzt kann's los gehen.

Tatsächlich läuft alles rund. Der Fußraum für den Beifahrer ist mit Zetteln übersät, die das Radio alle paar Sekunden ausspuckt, um mich auf dem neuesten Stand über mein Auto zu halten. Aber das ficht mich grad nicht, ich kümmer mich später drum. Auf halber Strecke erscheint eine Meldung, die mit Blinken und Radau auf sich aufmerksam macht:
"Es sieht so aus als wollten Sie zur Arbeit fahren. Es konnten keine Butterbrote im Fahrzeug gefunden werden. Das Fahrzeug wird gewendet." Um mir das Gefühl von Mitspracherecht zu geben muss ich bestätigen: "1.OK, 2. Fahrzeug wenden, 3. Abbruch der Fahrt".

Ich blicke in den Rückspiegel und entscheide: "3. Abbruch der Fahrt"
Der Drehzahlmesser zeigt 0, der Motor stirbt ab und ich rolle auf den Seitenstreifen der A40. Ich verlasse den Wagen und werde ihn nie wieder sehen. Nachdem ich an der Beifahrertür meine Blase entleert habe, mache ich mich daran, das Autobahnareal durch die beigepflanzte Schallschutz-Vegetation zu verlassen und zu Fuß wieder nach Hause zu gehen.

0 Response to "Fenster"